Eindrücke vom Bundeskongress Soziale Arbeit in Bielefeld

Soziale Landwirtschaft – (k)ein Thema der Sozialen Arbeit?

von Thomas van Elsen

Etwa zweimal pro Monat erreichen die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft E-Mails und Telefonanrufe von Studierenden der Sozialen Arbeit aus ganz Deutschland, die sich für Themenvorschläge für Abschlussarbeiten auf der DASoL-Homepage interessieren – und an ihrer Hochschule oft vergeblich geeignete Betreuer oder überhaupt Interesse an der Thematik finden. Zuletzt kam über eine solche Anfrage die interdisziplinäre Betreuung einer Bachelorarbeit im Fach Soziale Arbeit in Kassel zustande: Felix Wenzel, der nach dem Bachelorstudium der Ökologischen Agrarwissenschaften in Witzenhausen als Zweitstudium Soziale Arbeit in Kassel studiert hatte, hatte Alexandra Retkowski, Noch-Juniorprofessorin am Institut für Erziehungswissenschaft & Institut für Sozialwesen des FB Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel, als engagierte Betreuerin seiner Arbeit gewonnen. Diese hatte nun die Idee und Initiative zu einer gemeinsamen Arbeitsgruppe auf dem Bundeskongress Soziale Arbeit, der vom 5.-7. September in Bielefeld stattfand.

Die Welt der Sozialen Arbeit

Für mich war es ein Eintauchen in die Welt der Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. Vor allem „-innen“ – beim Einführungs-Plenarvortrag, den ich gerade noch rechtzeitig erreicht hatte, war mein erster Eindruck im fensterlosen Uni-Hörssal: „Fast nur Frauen“, bis ich in der Reihe vor mir erleichtert auch einen Mann entdeckte – und der hatte rot lackierte Fingernägel! – Thematisch blieb mir aus den einführenden Vorträgen vor allem die Thematik „Der Wert der Sozialen Arbeit“ im Gedächtnis – „sich um Menschen kümmern, sie auf einen Weg bringen“, „Reparaturbetrieb“, „politische Forderung nach Veränderung der Rahmenbedingungen“, „Burnout in der Sozialen Arbeit“, „den Anpassungserwartungen entsprechen“, „sozial ist das Gegenstück von antisozial und unsozial“ lese ich in meinen Notizen. Viel Zeit nahm die Darstellung der offenbar chronisch schlechten Bezahlung von Sozialer Arbeit ein. Ich verlasse den Hörsaal vorzeitig mit der etwas ratlosen Frage, wo hier „Soziale Landwirtschaft“ und irgendwelche Anknüpfungspunkte zu finden sein werden.

Auf der Tagung gab es diverse Büchertische von Verlagen mit einer unglaublichen Themenvielfalt. Auf meine (rhetorische) Frage beim ersten Büchertisch, ob sie etwas zur Sozialen Landwirtschaft hätten, antwortete die Standbetreuerin nach kurzem Überlegen: „Ja, wir haben eine Studie ‚Die Stellung der Frau im Agrarrecht‘!“ Beim zweiten Stand war die Betreuerin schon näher dran: „Ich glaube nicht. Etwas zur Tiergestützten Therapie und zu Erlebnispädagogik hätte ich!“ Beim dritten Stand dann eine Überraschung: der Herr vom Beltz-Verlag musterte mein Namensschild und sagte: „Ja, aber Ihr Buch haben wir auf der Tagung leider nicht dabei!“ Gemeint war das von Alfons Limbrunner und mir herausgegebene Buch „Boden unter den Füßen“. Einerseits war das natürlich ein gar nicht erwarteter Bekanntheitsgrad, der mich enttarnte, zum andern aber die Frage, warum der Verlag nicht erwartet, auf einem Bundeskongress zur Sozialen Arbeit auf Interesse an dem Thema Soziale Landwirtschaft zu stoßen.

Bundesteilhabegesetz

Aus den parallel angebotenen Workshops am 2. Tagungstag hatte ich „Das Bundesteilhabegesetz und seine Relevanz für die Soziale Arbeit für behinderte Menschen“ ausgewählt. Das erwies sich als eine gute Wahl, denn die Referenten (Dr. Yvonne Kahl, Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, berufene Professorin für Soziale Arbeit/ Sozialraumorientierung; Prof. Dr. Dieter Röh, HAW Hamburg, Professor für Wissenschaft der Sozialen Arbeit, Prof. Dr. Stephan Dettmers, Fachhochschule Kiel, Professor für Klinische Sozialarbeit und Prof. Dr. Christian Huppert, Fachhochschule Bielefeld, Professor für Sozialarbeitswissenschaften mit dem Schwerpunkt Behinderung und Inklusion) hatten aus ihrer jeweiligen Sicht gemeinsam in einem Heft der Zeitschrift „Klinische Sozialarbeit" [1] Beiträge zum Thema publiziert. Folgender Text war der Arbeitsgruppe vorangestellt:

„Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen aus dem System der Fürsorge herauszulösen und zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. In einem ersten Schritt wird von Christian Huppert erörtert, inwiefern die neuen gesetzlichen Regelungen das Potenzial haben, wirksam erlebte Teilhabe für behinderte Menschen zu ermöglichen. Neben einem Blick auf den Gesetzgebungsprozess werden einzelne Regelungen kritisch überprüft auf solche Chancen und mögliche Begrenzungen. Dieter Röh lenkt den Blick auf Professionalitäts- und Professionalisierungsfragen, die sich aus dem BTHG ergeben. Neue fachliche Anforderungen an die Teilhabeplanung, der Anspruch einer Lebenswelt- und Sozialraumorientierung sowie ein damit verbundenes und verändertes Fachkräfteverständnis stellen hohe Ansprüche an die Ausgestaltung von Prozessen und Leistungen. Einen vertieften Blick auf die Sozialraumorientierung im Feld der Sozialpsychiatrie wirft Yvonne Kahl. Insbesondere angesichts einer auch weiterhin auf personenbezogene Leistungen fokussierte rechtliche Ausgestaltung bleibt eine einzelfallunspezifische und auf den Sozialraum bezogene Leistungserbringung eine weitgehend zusätzliche und besonders notwendige Aufgabe zur Ermöglichung von Teilhabe. Stephan Dettmers stellt die Klinische Sozialarbeit in den Mittelpunkt und sieht deren Potenzial in ihrem biopsychosozialen Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Die Optimierung sozialer Teilhabe ist ein wesentliches Ziel, das unter Nutzung der Person-in-Environment-Perspektive und dem Einbezug der subjektiven Sichtweise der beeinträchtigten Menschen und deren Angehörigen gestaltet werden kann. Zielperspektive der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe aus der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet vorrangig den Staat, aber eben auch Organisationen und stellt sich als gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Im Rahmen des Workshops soll der Frage nachgegangen werden, welche Relevanz das BTHG für die Soziale Arbeit für behinderte Menschen erlangt bzw. erlangen wird. Im Anschluss an die unterschiedlichen Beiträge bleibt ausreichend Zeit für Diskussion und weitergehende Positionierungen im Dialog“ (weitere Informationen).

„Teilhabe heißt, das Leben nach eigenen Wünschen ausgestalten können!“. „Das Gesetz ist gemacht für die Fitten. Es ist kein Gesetz für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf“. Die „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)“ soll Zugänge erleichtern, eine von Leistungserbringern unabhängige Beratung darstellen und ein Peer Consulting („Betroffene beraten Betroffene“) einschließen. – Das BTHG wurde „großspurig angekündigt und turbulent verhandelt“, eine „Sozialreform mit hohem Anspruch“, so meine persönlichen Notizen. Wenn von dem „Professionalisierungsanspruch an Fachkräfte“ und dem „Einbringen der Profession Sozialer Arbeit“ die Rede war, leuchteten Querbezüge zu den Bemühungen um eine Entwicklungsbegleitung im Kontext unseres aktuellen PROFARM-Projekts auf. Dies wurde von den WorkshopteilnehmerInnen in der anschließenden Gruppenarbeit interessiert zur Kenntnis genommen.

Tiere und Pflanzen in der Sozialen Arbeit - zum sozialen und ökologischen Mehrwert neuer Felder der Sozialen Arbeit

So lautete der Titel der dann am Nachmittag von Alexandra Retkowsksi, der Lehrerin Katrin Rauber und mir angebotenen Workshops am Nachmittag. Folgenden Ankündigungstext hatten wir formuliert:

„Die Frage, welchen Beitrag Soziale Arbeit zu einer ökologischen Transformation leisten kann, wird zukünftig einen zunehmend bedeutsameren Stellenwert gewinnen. Blickt man in die Praxis, so gibt es zahlreiche vielversprechende Ansätze, die die Sicherung der Rechte nichtmenschlicher Lebewesen als einen Kernbestandteil ihrer Arbeit und Professionalität im Dienste einer nachhaltigen Lebensweise betrachten. Zwei Praxisbereiche – inklusive ökologische Landwirtschaft und der Einsatz von Hunden in Schule und Rehabilitation – werden in dem Workshop genauer vorgestellt. Da diese und andere Ansätze derzeit zwar den Status eines expandierenden Praxisfelds haben, nicht jedoch ins Zentrum der fachlichen Auseinandersetzung vordringen, wird durch einen theoretisch orientierten Input sowie in der moderierten gemeinsamen Diskussion der Frage nachgegangen, wie Ökologie und Nachhaltigkeit als berufsethische Orientierung in der Sozialen Arbeit verankert werden können und wie Soziale Arbeit als Akteurin ökologischer Transformation deutlicher ins Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit treten kann.“

Alexandra Retkowski, selbst Hunde- und Pferdehalterin, hatte im Zusammenhang mit ihrer Forschung zu Fragen der sexualisierten Gewalt die Wirksamkeit tiergestützter Angebote auf Kinder und Jugendliche kennengelernt. Was brauchen Kinder und Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, an therapeutischen und pädagogischen Angeboten? Insbesondere zwei Aspekte waren für sie besonders bedeutsam:

·         die Interaktion mit dem Tier kann oftmals der erste Schritt zur Thematisierung eigener Gefühle sein. Kinder sind sich sicher, dass die Tiere das Geheimnis nicht weiter sagen und gleichzeitig ist die Geschichte in der Welt und kann daraufhin leichter ein weiteres Mal und dieses Mal vielleicht gegenüber einem Erwachsenen erzählt werden;

·         dass Tiere für Kinder wichtige „Bezugspersonen“ darstellen können, ist bekannt. Im Kontext der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die sexuelle Gewalterfahrungen machen mussten, ist die körperliche und sinnliche Dimension zentral, um Nähe und Vertrauen zulassen zu können. Hierfür ist ganz entscheidend, dass Tiere von Kindern als sexuell nicht bedrohlich erlebt werden.

Außerdem ist ihr die ökologische Dimension wichtig, das „Verhältnis von Sozialer Arbeit und Ökologie“ sieht sie als kaum gegriffen. „Der zurückliegende Sommer weist darauf hin, dass wir in den nächsten Jahrzehnten enorme ökologische Transformationen auf globaler und lokaler Ebene zu erwarten haben. Diese werden unser alltägliches Leben sehr prägen und wir wollen heute der Frage nachgehen, wie sie pädagogische Kontexte beeinflussen bzw. welchen Beitrag Schule und Soziale Arbeit für Tier- und Umweltschutz leisten können“.

„Sehr grob lässt sich der gegenwärtige Stand der Debatte in zwei Perspektiven differenzieren: Zum einen gibt es Beiträge aus der Soziologie wie z.B. Stephan Lessenichs (2017) [2] „neben uns die Sintflut“, in dem er nachzeichnet wie wir Armut und Ungerechtigkeit im Kleinen und im Großen auslagern. „Wir leben über die Verhältnisse der Anderen“ ist seine einprägsame kurze Formel. Auch Thomas Seiberts (2018) [3] „Zur Ökologie der Existenz“ sei erwähnt, der die Menschheit angesichts der ökologischen Katastrophe in eine existentielle Krise gestellt sieht, in der er zur Freiheit kommen kann und sich in Freiheit über sein eigenes Leben entscheiden muss. Diese Ansätze sehen die Zerstörung der Umwelt als soziales Problem, welches es zu lösen gilt.

Andere, eher kulturwissenschaftliche Perspektiven wie die von Bruno Latour oder Donna Haraway [4], sehen gerade im Anthropozentrismus, also in der Konzentration auf die menschliche Perspektive das zentrale Problem. Sie versuchen, die nicht-menschliche Umwelt, also Tiere, Pflanzen und andere Objekte als Akteure mit eigener Handlungsmacht ausgestattet zu begreifen.

In diesen Ansätzen geht es darum, gemeinsam mit und in einem wechselseitigen Lernprozess mit der ökologischen Katastrophe umzugehen. Im Rahmen dieser radikalen Verständnisses von Ökologie tritt sie dann auch dafür ein, eine multispecies justice, also eine Gerechtigkeit für alle Lebewesen im Sinne eines Interessensausgleichs zu kultivieren. In Bezug auf das vieldiskutierte Thema des Wolfs wäre dies, die Interessen von Wölfen, Schafen, Landwirten und Spaziergängern als Akteure in einer Landschaft in Einklang zu bringen.“ „Selbstkritisch muss festgehalten werden, dass die Wende, die sich in den Sozial- und Kulturwissenschaften in Bezug auf die Thematisierung von Tieren und Pflanzen abzuzeichnen beginnt, von der Disziplin der Sozialen Arbeit kaum aufgegriffen wird.“

Diese Gedanken von Alexandra Retkowski waren eine Steilvorlage zu meiner anschließenden Vorstellung Sozialer Landwirtschaft. Einerseits dient diese zur Therapie, zur sozialen Inklusion, zur sinnerfüllten Arbeit von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, von Menschen mit Behinderungen, Suchtkranken, demenzkranken Senioren, Strafgefangenen, kriminellen Jugendlichen bis hin zu Vorschulkindern. Andererseits geht es nicht darum, die Natur, die Tiere, Pflanzen, den Hofzusammenhang nun noch auf einer seelischen Ebene (aus-)zu nutzen, sondern die Arbeit mit Tieren, Pflanzen und dem Boden durch die Jahreszeiten und bei Wind und Wetter zu einem „Geben und Nehmen“ zu gestalten. Für den Landwirtschaftsbetrieb soll dies kein Zuschussgeschäft darstellen, sondern die Einbeziehung Sozialer Arbeit soll so gestaltet werden, dass ein Mehrwert entsteht, etwa durch Diversifizierung (der Betriebsbereiche) und Ökologisierung (der Wirtschaftsweise, bis hin zu Möglichkeiten der Landschafts- und Biotoppflege durch „mehr helfende Hände“) – es geht um Ökologische Inklusion [5]. Dies ist noch mehr als ein „Interessenausgleich“: die Natur, die nichtmenschliche Umwelt wird nicht als „Werkzeug“ oder „Mittel zum Zweck“ angesehen, sondern es ergeben sich neue Entwicklungsmöglichkeiten. „Erst kommt Be-, dann Erziehung“ hatte Alexandra Retkowski in Bezug auf Kinder gesagt. Das ist in Bezug auf den Umgang mit Kulturlandschaft das Gleiche.

Es folgte der Beitrag von Katrin Rauber (Lehrerin in NRW; Fachkraft für tiergestützte Intervention; Ausbilderin von Schulbegleithundeteams über Klasse-Tier [6]), die aus ihren umfangreichen Erfahrungen zu Wirkungen verschiedener Tierarten auf verhaltensgestörte Schulkinder berichtete. Auf ihrer Website schreibt sie: „Studienergebnisse zeigen, dass sich Tiere positiv auf unsere Gesundheit auswirken und Angst, Aggression sowie Depression reduzieren. Aber auch beim Lernen helfen sie, indem sie motivieren, inspirieren und fokussieren. Tiere unterstützen Menschen, positive soziale Interaktionen zu erleben und die Empathiefähigkeit auszubauen.

Dieses wunderbare Paket an tierischer Hilfestellung fürs Leben findet sich immer öfter in der Schule. Dafür müssen sich Lehrerinnen und Lehrer (oder auch andere Schulmitarbeiter) entscheiden, ihr pädagogisches Spektrum um die tiergestützte Pädagogik zu erweitern und auch die Zeit, Liebe, Motivation und Mühe, die die tierischen Co-Pädagogen benötigen, aufzubringen. Doch all diese Arbeit zahlt sich aus: Gerade Kinder, Teenager und junge Erwachsene können durch die tiergestützte Pädagogik im Zuge ihrer Entwicklung enorm profitieren. Die tiergestützte Pädagogik ermöglicht einen kreativen und motivierenden Zugang zu Lerninhalten, der Dank des Zusammenspiels mit den Schultieren von einem deutlichen Lebensweltbezug und somit auch einer enormen Bedeutsamkeit für die Lernenden begleitet wird. Die Schülerinnen und Schüler bauen zu ihren Schultieren positive Bindungen auf, pflegen sie, trainieren sie, füttern sie, gestalten für sie Lebensräume und versuchen sie immer besser zu verstehen. Im Gegenzug bauen die Tiere Vertrauen und Verbindung zu ihren Menschen auf und leben, lernen und wachsen gemeinsam mit ihnen.“6

Die anschließende angeregte Diskussion zeigte, dass ein erster Brückenschlag geglückt war – und die Arbeit mit der Natur als sinnvolles Arbeitsfeld deutlich wurde. Ein ausbaufähiger Ansatz ist gemacht.

Gesundheitsförderung! Eine Praxis Sozialer Arbeit? – Die DVSG lädt zum Vernetzungstreffen ein

Am Freitag-Vormittag besuchte ich noch einen weiteren Workshop - Dr. Anna Lena Rademaker, FH Bielefeld, und Referentin der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG) und am FB Sozialwesen der FH Bielefeld tätig, sowie Prof.'in Dr. Katrin Liel, Professorin für gesundheitswissenschaftliche Grundlagen Sozialer Arbeit an der HAW Landshut, Fakultät Soziale Arbeit, hatten zu einem „Vernetzungstreffen“ eingeladen.[7]

Auf eine Bekanntmachung (2010) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Richtlinien zur Förderung von Studien in der Versorgungsforschung hin hatte ich damals zusammen mit dem Institut für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke und dem Institut für Heilpädagogik und Sozialtherapie der Alanus Hochschule Alfter einen Forschungsantrag zu Green Care in Agriculture as a Tool for Health Care in Germany gestellt, der stark auf die Möglichkeit der Gesundheitsvorsorge bzw. salutogenetische Wirksamkeit Sozialer Landwirtschaft fokussierte. Leider wurde der Vorschlag abgelehnt. Umso gespannter war ich nun, ob bei dem Vernetzungstreffen das Thema „Vorsorge durch Soziale Landwirtschaft“ auf Interesse stoßen würde.

Im Einladungstext war zu lesen: „Ziel des Workshops ist die Diskussion von Gesundheitsförderung in der Sozialen Arbeit und Vernetzung mit Expert*innen aus Wissenschaft/Forschung, Praxis und Politik. Im Dezember 2017 gründete die Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG) den Fachbereich „Gesundheitsförderung und Prävention“, um diese aus Perspektive Sozialer Arbeit aufzugreifen, d.h. einer Perspektive, die alle Menschen, ausgehend von ihrer Lebenswelt zu gesunder Verwirklichung im Alltag ermächtigt. Damit bietet sich die DVSG als Ansprechpartnerin für die fachpolitische Vertretung in Gesundheitsförderung aus Perspektive der Sozialen Arbeit an. Zu diesem Zweck steht der Aufbau der Vernetzung mit Akteuren aus Wissenschaft, Forschung, Praxis und Politik sowie die inhaltliche Auseinandersetzung mit Gesundheitsförderung als Praxis Sozialer Arbeit im Fokus des Workshops. Der Workshop ist als Auftakt- und Vernetzungstreffen geplant. In zwei Vorträgen werden Hintergründe der DVSG-Fachgruppe sowie aktuelle Herausforderungen aus Sicht des Fachverbandes skizziert und zur Diskussion gestellt. Eingeladen sind Interessierte, die sich mit Gesundheitsförderung in den verschiedenen Feldern Sozialer Arbeit beschäftigen, austauschen und vernetzen wollen.“

Nach der Vorstellung des Fachbereichs Gesundheitsförderung der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG) wurden verschiedene Arbeitsfelder und Interessen in der Gesundheitsförderung in Kleingruppen diskutiert. Deutlich wurde: Die Gesundheitsvorsorge wird überall als ausbaufähiges Arbeitsfeld erkannt. Bereits bei der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Farming for Health 2004 in den Niederlanden wurden Vorsorgeaspekte diskutiert. Ein später in Belgien besuchter Jugendhilfehof bezeichnete sich selber als „Verbrechensvorsorgeprojekt“: die dort arbeitenden Jugendliche würden ohne das Projekt „Autos knacken“ und der Gesellschaft weit mehr Geld kosten als deren Integration in den Gärtnerhof. Und in Bezug auf Gesundheitsvorsorge ist dies ähnlich: Wird z.B. bei Burn-Out-Symptomen eine Auszeit in der Landwirtschaft durch die Krankenkasse finanziert, fallen die Kosten sicherlich niedriger aus als bei ernsten psychosomatischen Erkrankungen, die durch einen Aufenthalt auf dem Hof hätten verhindert werden können. Auszeiten schulmüder Jugendlicher, Tagesaufenthalte für Demenzkranke auf Höfen – hier liegen unausgeschöpfte Potenziale Sozialer Landwirtschaft! Die Krankenkassen hätten bei der Bewilligung von Vorbeugemaßnahmen durchaus Ermessensspielräume, so berichtete ein Teilnehmer der Kleingruppenarbeit aus eigener Erfahrung.

Mein Fazit: Die Teilnahme an dem Bundeskongress zeigte: Es lohnt sich, das Thema Soziale Landwirtschaft in das Berufsfeld der Sozialen Arbeit einzubringen, Interesse ist durchaus vorhanden. Zu wünschen ist, dass dies auch in der Hochschullandschaft aufgegriffen wird – während an immerhin zwei landwirtschaftlichen Hochschulen das Fach Soziale Landwirtschaft im Studienangebot existiert, gibt es seit der Pensionierung von Alfons Limbrunner, der „Grüne Sozialarbeit“ an der Ev. FH Nürnberg lehrte, in Studiengängen der Sozialen Arbeit bundesweit nichts, rein gar nichts!

Kontakt: Dr. Thomas van Elsen, , Thomas.vanElsen@petrarca.info,     Tel. 05542-981655.

 

Der Bericht kann hier heruntergeladen werden.

[1] Klinische Sozialarbeit. Zeitschrift für psychologische Praxis und Forschung 14(2), April 2018

[2] Lessenich, Stephan. (2016). Neben uns die Sintflut. München: Carl Hanser Verlag.

[3] Seibert, Thomas. (2017). Zur Ökologie der Existenz. Freiheit, Gleichheit, Umwelt.

[4] Latour, Bruno. (2018). Das terrestrische Manifest. Frankfurt am Main suhrkamp.

Haraway, Donna J. (2016). Staying with the Trouble. Durham and London: Duke University Press.

[5] van Elsen, Thomas. (2014): Ökologische Inklusion. Soziale Landwirtschaft als Ort der Entwicklung von Mensch und Natur. – In: Hartkemeyer, T., Guttenhöfer, P., Schulze, M. (Hrsg.): Das pflügende Klassenzimmer. Handlungspädagogik und Gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft. DBU-Umweltkommunikation 5, Oekom, München: 41-56.

[6] https://klasse-tier.de/

[7] https://dvsg.org/die-dvsg/fachbereiche/gesundheitsfoerderung-und-praevention/veranstaltungen/vernetzungstreffen-2018/