Tagung in Prag
Landwirtschaft in Ländern Europas - aktueller Stand und Bezugspunkte zu ländlichen Entwicklungsplänen
von Thomas van Elsen
Vom 10. – 11. 9. 2018 fand in Prag auf Einladung von Jiří Netík, Landwirt und Vorsitzender des tschechischen Aktionsbündnisses Soziale Landwirtschaft, eine weitere internationale Tagung zur Sozialen Landwirtschaft statt. Der Auftakt war im tschechischen Landwirtschaftsministerium, am 2. Tag folgte die Fortsetzung in Südböhmen an der Universität Budweis.
Nach einleitenden Worten von Jiří Netík stellten Jan Moudrý (Universität Südböhmen) und Tomáš Chovanec die Situation Sozialer Landwirtschaft in Tschechien vor. Derzeit bestehen Überlegungen, Soziale Landwirtschaft durch Ländliche Entwicklungspläne zu fördern. Während in der Landwirtschaft eine Intensivierungswelle zu verzeichnen ist, könnte Soziale Landwirtschaft eine Option zur Divdersifizierung kleiner Höfe darstellen. – Mehrere thematische Arbeitsgruppen arbeiten seit 2014, es wurden thematische Papiere und ein universitäres Kursangebot erarbeitet, aber es mangelt an der Finanzierung der Sozialen Arbeit auf den Höfen.
Marjolein Elings aus Wageningen stellte den Entwicklungsstand Sozialer Landwirtschaft in den Niederlanden vor. 1.100 Pflegehöfe mit 20.000 betreuten Menschen gibt es, oft kombinieren die Höfe soziale Aktivitäten mit anderen, etwa dem Betreiben von Campingplätzen. Häufig sind die Bäuerinnen auf dem Hof in der Sozialen Arbeit engagiert; für Höfe bedeutet das Soziale eine Alternative zur Intensivierung. Die Entwicklung verlief nicht ohne Brüche: Das 1999 gegründete Nationale Beratungszentrum musste 2007 mangels Finanzierung schließen. 2003 wurde das Persönliche Budget eingeführt, 2005 erfolgte die Liberalisierung der Langzeitpflege; die Finanzierung der Höfe wurde fortan auf der Gemeindeebene verhandelt. 2005 gründete sich die nationale Vereinigung der Pflegehöfe und nahm die Beratung und Vermittlung selbst in die Hand. 2016 erfolgten Studien zur Wirkung Sozialer Landwirtschaft auf die integrierten Menschen (verhaltensgestörte Jugendliche, psychisch Kranke und Senioren mit Demenz). In den Niederlanden wird Soziale Landwirtschaft wesentlich über den Gesundheitssektor finanziert, die von den Tschechen angedachte Finanzierung über ländliche Entwicklungsprogramme sei in den Niederlanden nicht relevant.
In meinem eigenen Beitrag „Soziale Landwirtschaft in Deutschland – von spezialisierten Höfen zur sozialen Inklusion“ stellte ich die aktuelle Situation in Deutschland vor, in der auf bestimmte Zielgruppen spezialisierte Höfe überwiegen. Durch das Bundesteilhabegesetz ist zu erwarten, dass sich mittelfristig normale Erzeugerbetriebe für Soziale Landwirtschaft öffnen. Dabei ist die Frage der Qualitätssicherung wesentlich; das im EU-Projekt PROFARM konzipierte Case Management wäre eine mögliche Lösung.
Alessandro Triantafyllidis von AIAB Liguria gab einen Einblick in die Soziale Landwirtschaft Italiens. 60% der sozialen Höfe wirtschaften ökologisch. Das große Interesse bei Landwirten wird von Behördenseite unzureichend aufgegriffen. 2015 wurde ein nationales Gesetz zur Sozialen Landwirtschaft erlassen, das durch regionale Gesetze ergänzt wird. Die Finanzierung erfolgt wesentlich über Ländliche Entwicklungspläne und den Europäischen Sozialfonds.
Altheo Valentini aus Foligno/ Italien stellte das von ihm initiierte EU-Projekt PROFARM vor. Die englischsprachige Abschlusstagung findet vom 22.-23. November in Gubbio/Umbrien statt.
Die Abschlussdiskussion ging nochmals auf die Situation in Tschechien ein: Landwirtschaft gilt hier als industrielle Aktivität mit schlechtem Ruf, die öffentliche Wahrnehmung sei völlig anders als etwa in den Niederlanden, wo „zurück aufs Land“ auch bei jungen Leute „in“ ist. Jiří Netík hatte bereits vor 20 Jahren einen geschützten Arbeitsbereich in einer Schreinerei aufgebaut und wurde belächelt.
Am folgenden Tag wurde die Veranstaltung an der Universität Südböhmen in Budweis fortgesetzt, wozu Studenten, Landwirte und Dozenten hinzustießen. Marjolein Elings bot einen Workshop zum Thema „Effekte von Pflegehöfen auf unterschiedliche Klientengruppen“ an, und ich parallel einen Workshop zu Auswirkungen Sozialer Arbeit auf den landwirtschaftlichen Betrieb.
Kontakt: Dr. Thomas van Elsen, , Thomas.vanElsenpetrarca.info,
Tel. 05542-981655.