Naturschutz und Soziale Landwirtschaft

Bericht von einem Workshop mit TeilnehmerInnen der 25. Witzenhäuser Konferenz

von Thomas van Elsen

Soziale Landwirtschaft verbindet landwirtschaftliche Erzeugung mit sozialer und pädagogischer Arbeit (www.soziale-landwirtschaft.de). In Deutschland sind es überwiegend spezialisierte und meist ökologisch wirtschaftende Betriebe, die sich in der Einbeziehung von Menschen mit Hilfebedarf – von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung, Suchtkranken über Jugendhilfe, Strafgefangene, Langzeitarbeitslose bis hin zu Asylsuchenden – sowie speziellen Altersgruppen (Kinder, Senioren) engagieren. Diesen Höfen gemeinsam ist, dass es dort mehr „helfende Hände“ gibt, die zu einer größeren Vielfalt der Arbeitsfelder auf dem Hof, potenziell aber auch zur aktiven Pflege und Entwicklung der Kulturlandschaft beitragen können.

Was ist überhaupt Soziale Landwirtschaft?

In der Vorstellungsrunde wird als Einstieg eine Begriffsklärung versucht, was eigentlich „Soziale Landwirtschaft“ ist. Die meisten TeilnehmerInnen haben selbst Erfahrungen in der Sozialen Landwirtschaft, haben mit Menschen mit Behinderung, in der Jugendhilfe oder mit Schülern auf Höfen gearbeitet: „Das war kein Streichelzoo. Die Schüler kamen auf den Hof und haben wirklich mitgearbeitet. Da kamen auch Leute von einem Blindeninstitut. Einerseits war das sinnvolle Arbeit für diese Leute, also therapeutisch wirksames Tun, das Sammeln von Erfahrungen, aber es kann ja auch ein Nutzen für den Hof dadurch entstehen! Da gibt es große Unterschiede je nach Klientel und Arbeitsfähigkeit der Menschen.“ – „Ich erinnere mich an eine Schulklasse mit autistischen Kindern, da war ein Junge dabei, der Kühe gern gestreichelt hat, für den war es total beruhigend, das warme Fell zu streicheln – die Klassenlehrerin war völlig begeistert, wie ruhig der plötzlich wurde. Das war schön zu sehen.“ – „Ich bin über die Soziale Landwirtschaft zum Landwirtschaftsstudium gekommen und habe ein Jahr auf einem solchen Hof gearbeitet. Der Fokus lag auf dem gemeinsamen Tun, nicht auf der Wirtschaftlichkeit! Durch Pflegegelder gibt es Freiheiten in der Gestaltung der Arbeit.“ – „Schön ist, wenn das sich auch wirtschaftlich trägt, dass man davon auch leben kann. Vielleich bietet die Solidarische Landwirtschaft hier Perspektiven.“ Und Solidarische Landwirtschaft könnte man insofern auch als Form der Sozialen Landwirtschaft verstehen, weil hier Menschen auf neue Weise Verantwortung übernehmen: für die Erzeugung der Lebensmittel, indem sie sich durch ihren monatlichen Beitrag, z.T. über aktive Mitarbeit mit den Erzeugern verbinden. – „Vielleicht ist das eine Wunschvorstellung, aber ich denke, in der Sozialen Landwirtschaft wird der Mensch noch gesehen, seine Fähigkeiten werden wertgeschätzt, nicht seine Defizite stehen im Mittelpunkt. Durch das Gemeinschaftliche ist Entwicklung möglich.“ Es steht eine andere Haltung, eine andere Einstellung dahinter, den Menschen nicht nur als Arbeitskraft zu sehen. – Soziale Landwirtschaft ist damit viel mehr als „die Landwirtschaft mit behinderten Menschen“: „Soziale Landwirtschaft hebt sich ab von der unsozial gewordenen Landwirtschaft!“ Eigentlich sollte Landwirtschaft als solche schon sozial sein, weil sie für andere Menschen, für die Gesellschaft Lebensmittel erzeugt.

Mehrwerte Sozialer Landwirtschaft auch für die Natur

Ausgangspunkt vieler Bestrebungen der Sozialen Landwirtschaft ist die Frage, wie sich der Hof als Setting der Sozialen Arbeit für Menschen nutzen lässt – Boden, Pflanzen und Tiere werden im Extrem bloßes „Mittel zum Zweck“ der sozialen, pädagogischen oder therapeutischen Arbeit. Ein erster Mehrwert entsteht für die Menschen, die sich trotz ihrer Einschränkungen als produktiv erleben, indem sie durch ihre Arbeit Aufgaben innerhalb der landwirtschaftlichen Erzeugung übernehmen, also etwas Sinnvolles tun! Gerade ökologisch wirtschaftende Höfe bieten eine große Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten. Und: „Der Kontakt zur Natur ist einer über die Sinne – ich sehe, ich fühle, ich rieche, ich schmecke, ich höre, ich freue mich über eine Blume … und durch Erfahrung entwickle ich eine Achtung der Natur gegenüber!“

Im Vortrag von Harald Schwaetzer war Thema, dass früher die Menschen in der Natur Wesenhaftes ganz selbstverständlich wahrgenommen und die Natur nicht nur als Produktionsfaktor verstanden haben. Die Arbeit mit der Natur im Kontext der Sozialen Landwirtschaft hat das Potenzial, dass sich eine veränderte Haltung im Umgang mit der Natur ergibt – und diese nicht nur unter dem Aspekt des Nutzens betrachtet wird, sondern die Frage zu stellen, welchen Beitrag Soziale Arbeit, die Einbeziehung von Menschen mit Unterstützungsbedarf für den Hof und für seine Tiere, Pflanzen und den Boden leisten kann – weitere Ebenen, auf denen ein Mehrwert entstehen kann. Die Fragestellung erweitert sich also dahingehend, ob die Naturgrundlage nicht nur genutzt, sondern umgekehrt der Natur durch die Einbeziehung landwirtschaftsfremder Menschen etwas zurückgegeben werden kann.

So, wie in der Sozialen Landwirtschaft durch Inklusion Menschen mit Einschränkung produktiv werden können, ist auch eine In-Wert-Setzung der Kulturlandschaft und aus den landwirtschaftlichen Kreisläufen herausgefallener Landschaftsbestandteile möglich – „ökologische Inklusion“ mit dem Ziel, die biologische Vielfalt zu erhalten und zu entwickeln! Beispielsweise lassen sich durch viele helfende Hände „Heckenbrachen“ auf neue Weise ökologisch sinnvoll in den Betriebskreislauf einbeziehen, etwa durch die Gewinnung von Laubheu oder von Beerenobst zur Herstellung von Wildobstmarmelade. Neben einer Verjüngung und Pflege von Hecken entsteht ein Mehrwert für die Nutztiere, indem Laubheu eine diätetisch sinnvolle Ergänzung zum eiweißreichen Kleegrasfutter im Winter darstellt, was die Tierarztkosten senkt. Auf Höfen, die mit Schülern arbeiten, können diese Arbeitsfelder zudem im Unterricht vertiefend behandelt werden. „Pflege durch Nutzung“ schafft Perspektiven, unproduktives „Ödland“ (das unter dem Aspekt der Biologischen Vielfalt vielleicht das wertvollste ist) sinnvoll zu pflegen und die biologische Vielfalt aktiv zu erhalten und zu entwickeln.

Während in der herkömmlichen Landwirtschaft die Reduzierung von Handarbeit durch Mechanisierung Ziel vieler Bestrebungen ist, geht es in der Sozialen Landwirtschaft darum, Möglichkeiten sinnvoller Handarbeit zu schaffen und auszubauen. Zudem werden – insbesondere bei Betrieben mit Schwerpunkt im Gemüsebau – oft sinnvolle Arbeitsmöglichkeiten im Winterhalbjahr gesucht. Gerade in der Landschaftspflege gibt es solche Arbeitsfelder, und Soziale Landwirtschaft hätte die Möglichkeit, etwa in Landschaftspflegeverbänden Aufgaben bei der Pflege von Biotopen auch außerhalb der von dem eigenen Hof bewirtschafteten Flächen zu übernehmen, also aktiven Naturschutz durch Soziale Landwirtschaft zu betreiben.

Anders als in manchen Nachbarländern dominieren in Deutschland in der Sozialen Landwirtschaft spezialisierte und meist auf ein bestimmtes Klientel ausgerichtete Höfe. Aufgrund des Ende 2016 verabschiedeten Bundesteilhabegesetzes (BTHG) werden sich künftig vermehrt ganz normale Erzeugerbetriebe in der Sozialen Landwirtschaft engagieren, da das Gesetz „anderen Anbietern“ die Einrichtung betreuter Arbeitsplätze erleichtern wird. Weiter steigt das Interesse in der Pädagogik, das traditionelle Schulbauernhofkonzept im Rahmen der Handlungspädagogik zu erweitern und „Schule“ neu zu denken – und geeignete Bauernhöfe als Lern- und Erfahrungsorte und Alternative zum klassischen Unterricht im abgeschlossenen Klassenzimmer insbesondere im Grundschulalter zu entwickeln. Daraus ergeben sich weitere Perspektiven für aktive Pflege und Entwicklung der Kulturlandschaft und ihrer Artenvielfalt, wenn entsprechende Konzepte und Strategien entwickelt werden, die die Potenziale Sozialer Landwirtschaft auch für die ökologische Inklusion aufgreifen und weiter entwickeln.

Der Konferenzband kann für 19 Euro bestellt werden unter www.upress.uni-kassel.de/katalog/abstract.php?978-3-7376-0476-5

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