Internationale Veranstaltungen und Berichte

– auf dem Wege zur Sozialen Landwirtschaft

von Thomas van Elsen

Jan Moudrý, Dozent an der Universität Südböhmen in České Budějovice (Budweis) und Leiter der Abteilung Ökologischer Landbau am Fachgebiet Agroökosysteme, hatte mich ins südliche Tschechien eingeladen, um Vorträge über Soziale Landwirtschaft und Biodiversität zu halten. Eine Gelegenheit, weitere Einblicke in Ansätze der Sozialen Landwirtschaft in unserem Nachbarland zu bekommen. Die große, ähnlich wie eine deutsche Behindertenwerkstatt organisierte Initiative der Familie Netik hatte ich schon bei früherer Gelegenheit kennenlernen können, weshalb mir diesmal Jan Moudrý zwei weitere Betriebe zeigen wollte – „keine Soziale Landwirtschaft, aber ökologisch“. Und das war spannend und abermals Gelegenheit, den Begriff Soziale Landwirtschaft zu hinterfragen, aber davon gleich mehr.

Bemagro – 2.000 Hektar biodynamisch

Erster Besuch, südlich von Budweis: in den Ausläufern des Novohradské-Gebirges im Bezirk Krumlov bewirtschaftet der Betrieb BEMAGRO seit 1994 2.000 Hektar ökologisch, seit zwei Jahren ist der Hof Demeter-zertifiziert. 470 Hektar werden beackert, der Rest ist Grünland. Am Rande des Ortes Meziříčí Wirtschaftsgebäude mit dem Charme einer ostdeutschen LPG – wenn da nicht die gerade neu erbaute Käserei ins Auge fiele, in dessen Obergeschoss die Verwaltung untergebracht ist.

Unter den etwa 50 Mitarbeitern gibt es auch einige mit Betreuungsbedarf; da es dafür keine Förderungen gibt, ist es kein eigener Arbeitsbereich. Uns empfängt der für Gemüsebau und Futtergemüse verantwortliche Gärtner Vojtěch Klusák, der zuvor in dem einzigen tschechischen Camphill tätig gewesen ist und viel Erfahrung mit der Arbeit zu betreuender Menschen mitbringt. Wir erfahren, dass der tschechische Markt für Biolebensmittel noch unterentwickelt ist – ein Großteil der Milch wird an die „Gläserne Molkerei“ nach Berlin geliefert und findet sich in deutschen Supermarktregalen (tatsächlich ist das Angebot an Biolebensmitteln im nahen Budweis sehr begrenzt – und hier dominieren dann deutsche Importwaren, etwa in der dort vertretenen Drogeriekette „dm“). Mehr als 300 Kühe geben täglich 5.000 Liter Milch. Die eigene Käserei und die Veredlung von derzeit wöchentlich 1.000 Litern Milch zu Joghurt, Quark, Butter und Käse ist ein erster Schritt, vom Export unabhängiger zu werden.

Der von dem Unternehmer Miloslav Knížek gegründete und umgestellte Betrieb ist in die Bereiche Tierhaltung und Pflanzenbau, Gemüsebau, Marketing, Verwaltung und Landschaftspflege gegliedert. Außer der Milchviehherde gibt es Mutterkühe, Schweine, Schafe und Geflügel. Auf den Feldern wachsen Roggen, Weizen, Dinkel, Hafer, Buchweizen und Kartoffeln. In der Gärtnerei werden Karotten, Zwiebeln, Petersilie und Kohl sowie in geringerem Umfang Salat, Spinat, Rüben, Brokkoli, Knoblauch, Bohnen, Kürbisse und außerdem Kräuter angebaut. Mit rund 50 Mitarbeitern ist das Unternehmen der größte Arbeitgeber in der Region[1].

 

Biofarma Slunečná[2] - „Sonnberg“

Eine viel kleinere, aber feine Kulturlandinsel ist der Hof von Pavel Štĕpánek. Ankunft bei Dauerregen, der Bewirtschafter im Stress, er hat schon frühmorgens Schafe, Ziegen und Kühe gemolken, ein Mitarbeiter ist ausgefallen. Pavel Štĕpánek war aus der Tschechoslowakei geflüchtet, hatte in Köln Fotographie studiert und bei AGFA einen gut bezahlten Job. Der war ihm jedoch zu eng, und er machte sich selbständig und arbeitete u.a. für Merian als Profifotograf. 1995, nach zweieinhalb Wochen Dauerregen in Slowenien, fuhr er frustriert über Linz weiter nach Norden in die tschechische Heimat, und was dann folgte war Liebe auf den ersten Blick: Der Himmel riss auf und über dem kleinen Dorf Slunečná zeigte sich die Sonne! So schildert uns Pavel Štĕpánek, der eine deutsche Mutter hat und fließend Deutsch spricht, seine Ankunft an dem Ort, der passenderweise übersetzt „Sonnberg“ heißt. Er hat sich von seiner Frau, die bei einer Telefongesellschaft in Deutschland als gutbezahlte Managerin arbeitet, getrennt und bewirtschaftet nun rund 80 ha Grünland mit Mutterkühen, Schafen und Ziegen; einige Kühe werden außerdem gemolken; der Hof hat eine eigene kleine Molkerei und ein Schlachthaus.

Zu sehen bekommen wir jedoch zuerst das wunderschön gestaltete – von dem kanarischen Architekten Cesar Manrique inspirierte – Gästehaus und dürfen verschiedene Käse probieren, der wie auch das Fleisch der Tiere überwiegend für die Verpflegung von Gästen dient. Und dann geht es in den Stall: Wo in der kalten Jahreszeit 100 Schafe und 60 Ziegen überwintern, ist im Sommer Kunst ausgestellt, Fotoausstellungen mit jährlich wechselndem Schwerpunktthema. Dieses Jahr ist es „Israel“, wo der Fotograf, der außerdem auch Theologie studiert hat, selbst eine prämierte Fotoserie über das Leben in einer orthodoxen Rabbinerschule geschossen hat. Beeindruckende Bilder von beeindruckenden Menschen sind zu sehen. Schwalbennester gibt es im Ausstellungsraum trotzdem: „68 junge Schwalben haben die Ornithologen dieses Jahr beringt“ – gegen den Kot der Vögel sind die Bilder mit Tapezierfolien einfach, aber wirkungsvoll geschützt.

Idyllisch ist das Leben jedoch keineswegs. Der Nachbarbetrieb bewirtschaftet 13.200 ha und macht dem Kleinbetrieb das Leben schwer; im Hofladen kaufen nur Touristen; es gibt so gut wie keine Kunden aus dem Kreis der „mit Phobien behafteten“ Bevölkerung im Umkreis, „da gibt es viel Neid“. Dieses Jahr mit extremer Frühlingstrockenheit war das „bisher schlechteste“ landwirtschaftliche Jahr; wegen sich abzeichnender Futterknappheit im Winter müssen eine Reihe Tiere geschlachtet werden, und der Bau des 30.000 Euro teuren, bereits im Bau befindlichen Hofteichs, von einem Büro in Osnabrück geplant, ist ins Stocken geraten. Zwischen sechs und sieben Beschäftigte arbeiten mit – das große Problem ist die mangelnde Selbständigkeit und die mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. „Früher haben wir auch einen Marktstand gehabt, aber dann mussten wir 5000 Kronen Strafe bezahlen, weil ein Biosiegel auf dem Label fehlte, dann haben wir das aufgegeben“.

Früher war das Gebiet ein fürstliches Jagdgebiet und bewaldet, dann wurden sieben kleine Ortschaften gegründet, eine davon Slunečná. Zur kommunistischen Zeit wurde mit viel Aufwand ein System zur Düngung der Wiesen mit Jauche installiert, was jedoch nur ein Jahr in Betrieb war, da die Rohrleitung vom Stall auf die Wiesen geklaut wurde. Hässliche Jauchebehälter sind als Altlasten aus dieser Zeit übrig geblieben: Pavel Štĕpáneks nächstes Projekt ist die Renaturierung einer feuchten Niederung, die ebenfalls während des Kommunismus aufwändig entwässert worden war.

Beigebracht hat sich Pavel Štĕpánek die Landwirtschaft komplett aus Büchern, er hat nie eine Ausbildung absolviert. „Spannend fand ich ein Buch über die Psychologie von Hühnern, das hat mich inspiriert!“ Für ihn steht außer Frage, dass Arbeit und Leben auf dem Sonnberg therapeutisch wirken. Er hat seinen gut bezahlten Job mit lebenslanger Perspektive mit der harten Arbeit auf einem vielseitigen Landwirtschaftsbetrieb getauscht, während seine Ex-Frau weiter über die Autobahn rast und gleichzeitig fährt, telefoniert, E-Mails beantwortet und sich mit Mitfahrern unterhält. „Wenn sie hier ist, tut ihr das gut, aber sie hält es nur einige Tage aus“.

Ist das nun Soziale Landwirtschaft? Zum einen gibt es in Tschechien noch keine für die Betreuung von Menschen verfügbaren Gelder, aber Pavel Štĕpánek ist sich auch nicht sicher, ob er der Aufgabe gewachsen wäre. „Wir hatten hier eine junge Frau mit Drogenproblemen, die war dann verschwunden und die Polizei suchte nach ihr, dann fand man ihren Rucksack auf einer Brücke und es wurde vermutet, sie sei im Fluss ertrunken – letztlich ist sie dann wieder aufgetaucht, aber es hat mich sehr mitgenommen“.

Eine Kulturlandinsel ist der Hof allemal. Und ein empfehlenswertes Urlaubsquartier außerdem. Kontakt: Ing. Pavel Štěpánek, Slunečná 3, 38451 Želnava, Tschechien, Tel.: +420-388-336-108, infobiofarma-slunecna.cz, www.biofarma-slunecna.cz/de

 


[1] Strichzeichnungen und Informationen tlw. aus: www.bemagro.cz/bemagro.html

[2] www.biofarma-slunecna.cz/de

 

Der Bericht ist auch im Rundbrief 29, S. 45ff. zu finden.

Landwirtschaft in Ländern Europas - aktueller Stand und Bezugspunkte zu ländlichen Entwicklungsplänen

von Thomas van Elsen

Vom 10. – 11. 9. 2018 fand in Prag auf Einladung von Jiří Netík, Landwirt und Vorsitzender des tschechischen Aktionsbündnisses Soziale Landwirtschaft, eine weitere internationale Tagung zur Sozialen Landwirtschaft statt. Der Auftakt war im tschechischen Landwirtschaftsministerium, am 2. Tag folgte die Fortsetzung in Südböhmen an der Universität Budweis.

Nach einleitenden Worten von Jiří Netík stellten Jan Moudrý (Universität Südböhmen) und Tomáš Chovanec die Situation Sozialer Landwirtschaft in Tschechien vor. Derzeit bestehen Überlegungen, Soziale Landwirtschaft durch Ländliche Entwicklungspläne zu fördern. Während in der Landwirtschaft eine Intensivierungswelle zu verzeichnen ist, könnte Soziale Landwirtschaft eine Option zur Divdersifizierung kleiner Höfe darstellen. – Mehrere thematische Arbeitsgruppen arbeiten seit 2014, es wurden thematische Papiere und ein universitäres Kursangebot erarbeitet, aber es mangelt an der Finanzierung der Sozialen Arbeit auf den Höfen.

Marjolein Elings aus Wageningen stellte den Entwicklungsstand Sozialer Landwirtschaft in den Niederlanden vor. 1.100 Pflegehöfe mit 20.000 betreuten Menschen gibt es, oft kombinieren die Höfe soziale Aktivitäten mit anderen, etwa dem Betreiben von Campingplätzen. Häufig sind die Bäuerinnen auf dem Hof in der Sozialen Arbeit engagiert; für Höfe bedeutet das Soziale eine Alternative zur Intensivierung. Die Entwicklung verlief nicht ohne Brüche: Das 1999 gegründete Nationale Beratungszentrum musste 2007 mangels Finanzierung schließen. 2003 wurde das Persönliche Budget eingeführt, 2005 erfolgte die Liberalisierung der Langzeitpflege; die Finanzierung der Höfe wurde fortan auf der Gemeindeebene verhandelt. 2005 gründete sich die nationale Vereinigung der Pflegehöfe und nahm die Beratung und Vermittlung selbst in die Hand. 2016 erfolgten Studien zur Wirkung Sozialer Landwirtschaft auf die integrierten Menschen (verhaltensgestörte Jugendliche, psychisch Kranke und Senioren mit Demenz). In den Niederlanden wird Soziale Landwirtschaft wesentlich über den Gesundheitssektor finanziert, die von den Tschechen angedachte Finanzierung über ländliche Entwicklungsprogramme sei in den Niederlanden nicht relevant.

In meinem eigenen Beitrag „Soziale Landwirtschaft in Deutschland – von spezialisierten Höfen zur sozialen Inklusion“ stellte ich die aktuelle Situation in Deutschland vor, in der auf bestimmte Zielgruppen spezialisierte Höfe überwiegen. Durch das Bundesteilhabegesetz ist zu erwarten, dass sich mittelfristig normale Erzeugerbetriebe für Soziale Landwirtschaft öffnen. Dabei ist die Frage der Qualitätssicherung wesentlich; das im EU-Projekt PROFARM konzipierte Case Management wäre eine mögliche Lösung.

Alessandro Triantafyllidis von AIAB Liguria gab einen Einblick in die Soziale Landwirtschaft Italiens. 60% der sozialen Höfe wirtschaften ökologisch. Das große Interesse bei Landwirten wird von Behördenseite unzureichend aufgegriffen. 2015 wurde ein nationales Gesetz zur Sozialen Landwirtschaft erlassen, das durch regionale Gesetze ergänzt wird. Die Finanzierung erfolgt wesentlich über Ländliche Entwicklungspläne und den Europäischen Sozialfonds.

Altheo Valentini aus Foligno/ Italien stellte das von ihm initiierte EU-Projekt PROFARM vor. Die englischsprachige Abschlusstagung findet vom 22.-23. November in Gubbio/Umbrien statt.

Die Abschlussdiskussion ging nochmals auf die Situation in Tschechien ein: Landwirtschaft gilt hier als industrielle Aktivität mit schlechtem Ruf, die öffentliche Wahrnehmung sei völlig anders als etwa in den Niederlanden, wo „zurück aufs Land“ auch bei jungen Leute „in“ ist. Jiří Netík hatte bereits vor 20 Jahren einen geschützten Arbeitsbereich in einer Schreinerei aufgebaut und wurde belächelt.

Am folgenden Tag wurde die Veranstaltung an der Universität Südböhmen in Budweis fortgesetzt, wozu Studenten, Landwirte und Dozenten hinzustießen. Marjolein Elings bot einen Workshop zum Thema „Effekte von Pflegehöfen auf unterschiedliche Klientengruppen“ an, und ich parallel einen Workshop zu Auswirkungen Sozialer Arbeit auf den landwirtschaftlichen Betrieb.

Kontakt: Dr. Thomas van Elsen, , Thomas.vanElsenpetrarca.info,    
Tel. 05542-981655.

Soziale Landwirtschaft in Ländern Europas – Tagung am tschechischen Landwirtschaftsministerium in Prag, 1.-2. Juni 2017

von Thomas van Elsen

Braucht Soziale Landwirtschaft in Europa Qualitätsstandards und ein internationales Forum? Diese Frage stand über einer zweitägigen Konferenz in Tschechien, organisiert von Dr. Jan Moudrý von der Universität Südböhmen in Budweis. Den Auftakt bildeten Berichte aus fünf Ländern zum Stand der Sozialen Landwirtschaft. Nach der Begrüßung durch den Staatssekretär des tschechischen Landwirtschafts-Ministerium Jiří Bakalík und Jiří Netík, Landwirt und Vorsitzender der Task Force Soziale Landwirtschaft in Tschechien, stellten Tomáš Chovanec und Jan Moudrý die aktuelle Gesetzgebung und den Bedarf an Qualitätsstandards und einer internationalen Plattform dar. Diskutiert wird z.B., ob es ein eigenes Label für Erzeugnisse aus Sozialer Landwirtschaft geben soll.

An der Universität Südböhmen in Budweis gibt es bereits einen Studiengang Soziale Landwirtschaft. Zur internationalen Vernetzung gibt es die konkrete Perspektive, dass 2018 in Italien die Abschlusstagung des PROFARM-Projekt die Möglichkeit bietet, diese Tagung zur Wiederbelebung des internationalen Austauschs zu nutzen.

Meinen eigenen Beitrag über Soziale Landwirtschaft in Deutschland hatte ich unter die Überschrift „Von spezialisierten Höfen zur sozialen und ökologischen Inklusion“ gestellt. Den Teilnehmern sollte ein Einblick in die Vielfalt an Höfen gegeben werden, die in Deutschland überwiegend spezialisiert auf bestimmte Zielgruppen eine meist außerordentlich gute Arbeit leisten. Es zeichnet sich ab, dass sich künftig mehr und mehr normale Erzeugerbetriebe für Soziale Landwirtschaft öffnen, indem das Bundesteilhabegesetz auch „anderen Anbietern“ das Anbieten betreuter Arbeitsplätze erleichtert.

Marjolein Elings aus Wageningen berichtete von der aktuellen Situation in den Niederlanden. Anders als in Deutschland sind Höfe mit unterschiedlicher, gemischter Klientel verbreitet, und meist ergeben sich daraus Synergien für Mensch und Hof. Weiter gibt es viele (Rest-)Höfe, die von Sozialarbeitern als therapeutisch wirksames Setting reaktiviert wurden. Die Entwicklung in den Niederlanden verlief in den letzten Jahren nicht ohne Brüche. Ein 1999 gegründetes, landesweit tätiges Kompetenzzentrum wurde wieder aufgelöst; 2005 kam es – zwei Jahre nach Einführung des „persönlichen Budgets“ – zu einer Liberalisierung der Langzeitbetreuung im Gesundheitswesen und zur Einführung eines Qualitätssiegels, das an eine jährliche Zertifizierung sozialer Landwirtschaftsbetriebe verbunden ist. Ein Schwerpunkt der Sozialwissenschaftlerin Elings liegt in Effizienzstudien – u.a. wurde die Wirksamkeit Sozialer Landwirtschaft auf verhaltensauffällige Jugendliche, Menschen mit geistiger Behinderung sowie Sucht- und Demenzkranke untersucht. Aktuell stehen die Landwirte im Fokus der Forschung: Was sind deren Motive, Soziale Landwirtschaft zu betreiben? „Landwirte haben keine Zeit zur Selbstreflexion, auch wenn wir als Wissenschaftler denken, das sei wichtig“, so Elings.

Francesco Di Iacovo von der Universität Pisa und vor mehr als zehn Jahren Initiator des SoFar-Projekts, berichtete aus Italien. Er war gerade auf einen Artikel von 1911 gestoßen, in dem bereits von sozialer Arbeit auf Höfen in Kooperation mit Hospitälern berichtet wurde – die heutige Soziale Landwirtschaft sei eine Wiederentdeckung, eine „Retro-Innovation“ auf neuem Niveau von etwas, das es immer schon in der Landwirtschaft gegeben habe. Anders als im Beitrag aus Holland war nicht von „Klienten“, sondern von „Teilnehmern“ die Rede – auch auf internationaler Ebene sind die Begrifflichkeiten uneinheitlich und in Bewegung!

Um in Italien als Soziale Landwirtschaft anerkannt zu werden, müssen 30% des Einkommens aus landwirtschaftlicher Erzeugung generiert werden. In Italien werden viele Erzeugnisse Sozialer Landwirtschaft als solche beworben - selbstverständliche Voraussetzung dafür, dass das funktioniert, sei eine hohe Qualität und die Konkurrenzfähigkeit, in denen zusätzlich ein sozialer Mehrwert steckt, der die Kunden zum Kauf „sozial“ erzeugter Lebensmittel motiviert. Eine universitäre Initiative zur Etablierung eines eigenen Labels stieß auf keine Resonanz bei den Landwirten.

Rhys Evans, aus Kanada stammender und nunmehr im norwegischen Stavanger tätiger Professor, gab einen ernüchternden Einblick in die aktuelle Situation in Norwegen. Mit der vor einigen Jahren erfolgten Umstellung der Vergabe von Direktzahlungen auf die Ebene der Gemeinden sei eine „neoliberale Intensivierungswelle“ in Bezug auf die Landbewirtschaftung einher gegangen. Waren 2011 noch 1.100 soziale Landwirtschaftsbetriebe registriert, sind es heute nur noch die Hälfte – oft ist mit dem Generationswechsel die Aufgabe von zuvor „sozial tätigen“ Familienbetrieben verbunden. Obwohl 80% der nationalen landwirtschaftlichen Erzeugung von 20% der Betriebe in Gunstregionen erzeugt werde, werde gerade auf kommunaler Ebene auf klassische Intensivierung der landwirtschaftlichen Erzeugung gesetzt, was in starkem Gegensatz zu dem Bedarf an sozialer Innovation und Entrepreneurship stehe.

An der Tagung nahmen auch Experten weiterer Länder teil. Eine Landwirtschaftsprofessorin aus der Slowakei beklagte nicht vorhandene Fördermöglichkeiten und Desinteresse seitens der zuständigen Ministerien in ihrem Land. Auch aus Slowenien wurde von Initiativen berichtet.

Perspektiven internationaler Zusammenarbeit

Wie lässt sich auf europäischer Ebene das Thema Soziale Landwirtschaft voranbringen? Anders als bspw. Im Ökologischen Landbau fehlt eine Interessenvertretung auf internationaler Ebene. Die 2004 gegründete und einige Jahre mit großem Engagement betriebene Arbeitsgemeinschaft Farming for Health befindet sich seit einigen Jahren im Dornröschenschlaf – eine konkrete Perspektive besteht durch das laufende PROFARM-Projekt, in dem versucht werden soll, durch eine erweiterte Abschlusstagung 2018 in Italien die Initiative neu zu beleben.

Dem Bedarf an einer kontinuierlichen Interessenvertretung auf europäischer Ebene und einer „Gesellschaft“ steht deren ungelöste Finanzierungsfrage gegenüber. Als Alternative wurde diskutiert, das auch in Brüssel vorherrschende sektorale Denken durch die Verwendung des Begriffs „multifunktional“ (anstelle von „sozial“) zu umgehen, da hier seitens der landwirtschaftliche Akteure weniger Vorbehalte zu bestehen scheinen. – Eine weitere Herausforderung ist das Sprachproblem: Auf wissenschaftlicher Ebene funktioniert die Kommunikation auf Englisch, aber bei den Landwirten bewirkt der Austausch über Sprachgrenzen hinweg eine starke Selektion, da viele Praktiker im Alltag kaum Gelegenheit zur Kommunikation in Englisch haben.

Der zweite Tag der Tagung fand in kleinerem Rahmen auf dem Hof von Jiří Netík in Südböhmen (Týn nad Vltavou) statt, dessen vierstellige Hektarzahl im Vergleich zu seinem 25.000ha-Nachbarbetrieb noch immer überschaubar erscheint. Auf dem Hof gibt es den „Speicherclub“, eine Art Agrotourismus, sowie einen in stetem Wachstum begriffenen Werkstattbereich mit Wollverarbeitung. Jiří Netík hat den Betrieb, der schon vorher in Familienbesitz war, schon zur kommunistischen Zeit geleitet, und seine vier Söhne führen das Unternehmen heute weiter, als stark diversifizierten Betrieb mit einer beeindruckenden Vielzahl teils in benachbarten Orten lokalisierte Werkstätten und Initiativen. Neben einer Öko-Apfelplantage, einer Töpferei einer Druckerei und einem Altenwohnprojekt gehört eine Zierpflanzengärtnerei im Nachbarstädtchen dazu, die als soziales Projekt reaktiviert wurde. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen werden konventionell mit Getreide, Raps und Mais bestellt; dieser Bereich ist profitabel und kofinanziert die kaum rentable Milchvieh- und Schafhaltung sowie teilweise auch die sozialen Projekte.

Hier geht es zum Bericht (Rundbrief 29, S. 39ff.).

Naatsaku Noortetalu – der Jugendhof Naatsaku in Estland

von Markus von Schwanenflügel

Ein immer wiederkehrendes Phänomen in Strafverfahren gegen Jugendliche, die in irgendeiner Form gewalttätig geworden sind, ist, dass sich herausstellt, dass sie eigentlich kein wirkliches Motiv haben. Sie sind „eben“ gewaltbereit und die kleinste Störung kann dazu führen, dass sie einem anderen Jugendlichen sein Handy abnehmen und es zerstören, jemanden die Treppe hinunterstoßen oder einfach mal eine Scheibe einschlagen … die Aktionen sind sinnlos, so sinnlos wie sich wohl das Leben für Täter anfühlt. Die traditionellen Werte, ob nun eher religiös oder bürgerlich haben sich aus ihrem sozialen Umfeld verflüchtigt, die etwas älteren Menschen, denen sie begegnen,  sind frustriert von ihrem Leben oder suchen mediale Aufmerksamkeit oder jagen dem großen Geld hinterher: man kann verstehen, dass das für viele junge Menschen keine Lebensperspektive ist.

So leben immer mehr Jugendliche in dem Gefühl, nicht gebraucht zu werden, niemand wartet auf sie, ja, sie haben vielleicht sogar den Eindruck, dass sie stören, dabei gilt wie Ernst Seyfried es formuliert hat:

„Jeder Mensch will notwendig sein.“

Diese Maxime kennzeichnet die Vision mit der seit 1996 in Estland der alte Hof Naatsaku Talu wieder aufgebaut worden ist, um einen Ort vor allem für junge Menschen zu schaffen, an dem sie erleben können, dass das Leben sinnvoll sein kann und dass sie, mit dem, was sie (lernen) können, gebraucht werden.

Naatsaku liegt im Süden Estlands. Der Hof wurde bis 1949 von Anna Tepper bewirtschaftet, sie wurde unter Stalin nach Sibirien deportiert und starb dort. Der Hof gehörte seitdem zur Kolchose Paistu und wurde 1996 an die Enkelin von Anna Tepper, Nora von Schwanenflügel,  zurück gegeben. Die schönen alten Gebäude von Naatsaku liegen mitten in den zu dem Hof gehörenden Feldern und Wiesen, die von Wald umgeben sind. Insgesamt sind es etwa 90ha Land. Zu den Nachbarn besteht ein guter Kontakt. In der Umgebung gibt es schöne Seen, die Kleinstadt Viljandi mit vielen kulturellen Veranstaltungen, Einkaufsmöglichkeit, Krankenhaus etc. ist 18 km entfernt.

Mit Freunden der Familie von Schwanenflügel und Jugendlichen wurde 1996 begonnen, zunächst einmal die alten Gebäude (Stall, Wohnhaus, alte Sauna, Vorratshaus, Scheune, Ziegenstall, ...)  zu sanieren. Diese sind aus Holz in Blockbauweise errichtet, die Fundamente und einige Mauern sind aus Granit. Diese Arbeit ist in einem ersten Durchgang  abgeschlossen. „Parallel” wurde eine große Werkstatt, ein neuer Stall ein neues Saunahaus und ein kleines Wohnhaus gebaut. Alles Holz, das auf dem Hof zum Bauen benutzt wird, stammt aus dem eigenen Wald. Es wird auch mit Holz geheizt, es gibt elektrischen Strom, das Trinkwasser wird aus einem schönen alten Brunnen geschöpft. Naatsaku wirkt wie ein kleines Dorf.

Auch wenn in der Vergangenheit und sicher auch in der Zukunft viel Zeit in die Gebäude „geflossen” ist, das Herz des Hofes ist eine kleine biologische Landwirtschaft, die so eingerichtet ist, dass möglichst alles, was „produziert” wird von den Menschen, die dort leben, verbraucht und gebraucht wird und dass möglichst viele verschiedene Qualifikationen erworben werden können.

Zur Zeit bewohnen zwei Ammenkühe, zwei Rinder und ein Bulle, ein Pferd und ein Pony, vier Ziegen mit ihren Kitzen und ein Ziegenbock, drei Schafe mit ihren Lämmern und ein Bock und ca. 30 Hühner und  5 Enten die Ställe – wenn sie nicht auf der Weide sind. Natürlich gibt es auch Katzen und zwei sehr aufmerksame Hunde. Die Ziegen und mindestens eine der Kühe werden gemolken und wenn genug Milch dafür da ist, wird Weich - und Hartkäse, Quark und Joghurt gemacht. Außerdem wird vor allem im Winter regelmäßig Brot gebacken.

Ein Gemüse – und ein Kartoffelacker, ein Kräuter – und ein Beerengarten, ein Gewächshaus und viele Obstbäume werden bewirtschaftet. Alles was geerntet wird, wird verzehrt oder eingelagert bzw. auf unterschiedliche Weise konserviert, sodass das ganze Jahr über an Lebensmitteln wenig dazu gekauft werden muss.

Im Herbst und Winter wird viel im Wald gearbeitet: Bau –und Brennholz wird geerntet, Schonungen werden durchforstet und es werden einzelne Flächen, auf denen eine Naturverjüngung nicht möglich ist,  auch aufgeforstet.

Der Jugendhof Naatsaku Noortetalu wird geleitet von Nora und Markus von Schwanenflügel. Sie werden in der Arbeit unterstützt von ihrer Schwiegertochter und ihrem Sohn, die zwei Kinder haben und in enger Kooperation ihren eigenen landwirtschaftlichen Betrieb aufbauen, und von meist zwei jungen Menschen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr machen und von den Jugendlichen, die meist für mehrere Monat, oft für ein ganzes Jahr aufgenommen werden. Diese stammen meist aus Deutschland und kommen nach Naatsaku, weil sie aus sehr unterschiedlichen Gründen (Gewalt, Drogen, Mobbing, Schulprobleme, familiäre oder gesundheitliche Kriesen,...) aus ihrer Spur sind und die Möglichkeiten, die Naatsaku bietet,  den Beteiligten  - Eltern, Jugendamt, Lehrer ... - und nicht zuletzt den Jugendlichen selbst als Chance für eine neue Entwicklung erscheint.

Der Jugendhof hat bewusst nur zwei, maximal drei „Plätze”, sodass die Jugendlichen in der Gemeinschaft wie in einer Großfamilie leben. Den Rahmen bildet ein durch die gemeinsamen Mahlzeiten strukturierter Tageslauf. Mit den Jugendlichen wird erarbeitet, welche Ziele sie wie verfolgen wollen. Je nach Verabredung, übernehmen sie Aufgaben in den Ställen, beteiligen sich an den Arbeiten, haben Unterricht und gehen ihren eigenen speziellen Interessen nach.

In den letzten 20 Jahren haben mehr als 200 Jugendliche, Praktikanten, Freiwillige und Freunde ihre Spuren auf dem Hof hinterlassen – durch ihre Hilfe ist ein ganz besonderer Ort entstanden, der auch ein Beispiel dafür ist, wie sich eine besondere soziale Aufgabe und die ökoogische Landwirtschaft ergänzen und gegenseitig befruchten können.

Heute können auf dem Hof Naatsaku

-          Jugendliche – wie oben skizziert - eine Intensivzeit verbringen

-          junge Menschen zur Berufsorientierung oder im Rahmen ihrer Ausbildung (Land – und Forstwirtschaft aber auch Sozialpädagogik u.ä.) ein längeres oder kürzeres Praktikum machen

-          Menschen jeden Alters eine individuell gestaltete Auszeit verbringen und

-          Familien Ferien auf dem Bauernhof machen.

Eine besondere Möglichkeit besteht noch dadurch, dass vor Kurzem angrenzend an das Land von Naatsaku der kleine Hof Meltsa erworben werden konnte, der bis heute seine endgültige Bestimmung noch nicht gefunden hat. Mit der Renovierung der Gebäude und der Pflege des Geländes wurde begonnen. Genutzt wird Meltsa bisher von Schulklassen und Gruppen überwiegend für Praktika. In der Zukunft ist vieles möglich: Ziegenhof  … Gemüsebau … Jugendarbeit ... Bäckerei … Vieles ist möglich. Wir würden gerne den Aufbau eines Projektes  dort unterstützen und hätten Interesse an einer Kooperation.

Weitere Informationen: www.naatsaku.com  Email: : naatsaku@hot.ee  Tel: 00372 4358100

Der Bericht befindet sich auch im Rundbrief 27, S.19ff.

Besuch bei Marco Di Stefano [1]

Thomas van Elsen

Zwischen Rom und Neapel, unweit der westlichen Mittelmeerküste Italiens, befindet sich ein ehemaliges Sumpfgebiet, das erst unter Mussolini nachhaltig entwässert und für die Landwirtschaft gerodet wurde. In dem unter dem Meeresspiegel liegenden Gebiet wirtschaftet die 176 ha umfassende, ökologisch bewirtschaftete sozialen Kooperative Fattoria Solidale del Circeo. Sie verfolgt das Ziel, behinderte und benachteiligte Menschen in die Arbeit zu integrieren und bietet Ausbildung, soziale und Gesundheits-Dienstleistungen. Geleitet wird der Hof von Marco Di Stefano, der seit 2011 zudem Vorsitzender eines der beiden italienischen Netzwerke für Soziale Landwirtschaft (Rete Fattorie Sociali) ist.

Erste Versuche zur Urbarmachung gehen auf Papst Pius VI zurück, der 1775 gewählt wurde und Pumpen zur Entwässerung und ein Kanalnetz zur Entwässerung der Sümpfe bauen ließ. Die Ländereien wurden Siedlern zur Verfügung gestellt. 1900 kaufte Michelangelo Di Stefano ein Anwesen, das zur Viehhaltung und zum Anbau von Gemüse und Getreide genutzt wurde. Auf höher gelegenen, vor den herbstlichen Überschwemmungen geschützten Stellen wurden Hofgebäude errichtet gebaut.

In den 1930er-Jahren beschloss die italienische Regierung unter Mussolini, das gesamte Gebiet zu enteignen und die Sümpfe gänzlich trockenzulegen. Michelangelo befürchtete den Verlust der Ländereien und bot an, die Entwässerung auf eigene Kosten durchzuführen, wodurch es der Familie gelang, das Land unter großen Anstrengungen zu halten. Vor der Trockenlegung wurden u.a. Mais und Reis angebaut; der Mais wurde im Herbst nach der Überflutung der Felder geerntet und mit Booten aus den überfluteten Feldern abtransportiert.

Ab 1950 wurden große Ställe gebaut und Milchkühe gehalten, die zunächst von Hand gemolken wurden. Bis vor wenigen Jahren wurden 700 Milchkühe und Wasserbüffel gehalten, die sich besonders gut für die feuchten Niedermoorböden eignen. 1990 übernahm Marco Di Stefano die Leitung des Betriebes. Seit 2010 ist der Hof anerkannter Biobetrieb. Die Motivation zur Umstellung auf Ökologische Landwirtschaft ergab sich für Marco Di Stefano nicht zuletzt aus dem Motiv, die eigene Gesundheit zu schützen: „Ich fand es verrückt, für 200 € eine Flasche mit Chemikalien für die landwirtschaftliche Erzeugung zu kaufen, auf der vor Gefahren für die menschliche Gesundheit hingewiesen wird.“

2012 musste wegen des Preisverfalls die Erzeugung von Fleisch und Milch eingestellt werden. Auf den jungen Niedermoorböden wird nun ökologisch Feldgemüse angebaut, teilweise für den Export nach Deutschland: „Nur Freilandgemüse, das wässrige Gewächshausgemüse schmeckt nicht!“[2] Ein Hauptabnehmer sind Schulküchen, und das Sortiment richtet sich nicht zuletzt nach dem Geschmack der Schüler: „Spinat mögen die Kinder nicht“!

Seit 2004 engagiert sich der Betrieb in der Sozialen Landwirtschaft. Schwerpunkt ist die Arbeitsintegration von behinderten und benachteiligten Menschen, die lernen, den Boden zu bearbeiten, zu ernten und mit Vieh umzugehen. 2007 wurde ein Ausbildungszentrum auf dem Hof eröffnet. Dort werden Schulungen zur Arbeitsintegration von behinderten und benachteiligten Menschen angeboten.

Finanziell trägt den Hof nach der Abschaffung der Kuhherde der Gemüseanbau, das Soziale ist eher ein Zuschussgeschäft, und trotzdem ist Soziale Landwirtschaft in Italien weit verbreitet. Resi Di Stefano, die aus Deutschland stammende Mutter von Marco, sagt: „Improvisieren und Solidarität, das funktioniert in Italien immer!“ Es gab und gibt immer wieder Projekte zur Sozialen Landwirtschaft, so eines zur „sozialen Milcherzeugung“, bei dem entlang der gesamten Erzeugungs-, Veredlungs- und Vermarktungsletter Menschen mit Behinderung einbezogen wurden. „Für die Menschen in Italien ist der soziale Aspekt bei der Kaufentscheidung wichtiger als der ökologische“, so Marco di Stefano. „Wir planen ein nationales Label für Produkte aus Sozialer Landwirtschaft, ethisch motivierte Kunden anspricht!“

Als ich den Hof besuche, ist dort eine Gruppe von Strafgefangenen zu Besuch, eine Prämiere mit der Perspektive für ein zukünftiges Arbeitsfeld: „Die täglichen Kosten pro Strafgefangenem belaufen sich auf 180€, das sind 75.700 € im Jahr! Soziale Landwirtschaft mit Strafgefangenen ist eine Investition, die diese Kosten reduzieren kann“, so Marco Di Stefano. Während des Hofbesuchs versorgen die Gefangenen die drei zutraulichen Esel, die allein den leeren Kuhstall bewohnen und Mensch-Tierbegegnungen ermöglichen.

2015 wurde ein nationales Gesetz erlassen, das die Zusammenarbeit von Landwirtschaft, Sozial- und Gesundheitsbehörden regelt. „Unser Ziel ist es, die Menschen zur Arbeit hinzuführen, durch die sie erleben können, dass sie trotz ihrer Behinderung produktiv sein können. Das steigert ihr Selbstwertgefühl, sie sind stolz auf ihre Leistung“. Soziale Landwirtschaft sollte als Therapie anerkannt werden! Die Menschen lernen, Verantwortung zu übernehmen und erleben ihr Tun als nützlich. Im Arbeiten erwerben sie Fähigkeiten, werden psychisch unabhängiger und erhalten eine Entlohnung für ihre Arbeit. Darüber hinaus profitieren sie physisch und psychisch davon, den ganzen Tag in der Natur zu sein. Beim Arbeiten in der Landwirtschaft lassen sich die Rhythmen der Natur und der oft langsame Rhythmus von Menschen mit Behinderungen in Einklang bringen. Pädagogen und Psychologen unterstützen die Arbeit.

 


[1] ergänzt um Informationen von der Website des Hofes, von der auch Bildmaterial verwendet wurde.

typo3/[2] Die als wörtliche Zitate gekennzeichneten Aussagen wurden vom Englischen ins Deutsche übertragen.

Hier geht es zum Bericht im Rundbrief 25, S.25ff.

Soziales Hofprojekt in der Schweiz

 Unser Gemeinschaftsprojekt Hof Maiezyt hat diesen Sommer sehr positiv beginnen können:

  • Robert, Mauro und Thomas haben mit der Hilfe der Gemeinschaft und einigen Gästen das gesamte Heu trocken einbringen können. Die Tiere sind gesund von der Alm zurück und fressen nun noch auf unseren Weiden bis der Schnee kommt. Mit viel Interesse schauen unsere Gäste, besonders die Schulklassen, beim Melken zu.
  • Unser Bio-Beizli ist seit Juli geöffnet und erfreut sich dank Mund-zu-Mund-Propaganda einer zunehmenden Gästezahl. Sehr gerne setzen sich die Gäste zu uns an den Tisch, um die Mahlzeit mit uns zu teilen. Viele interessante Gespräche entwickeln sich so.
  • Nun können wir nicht nur Schulklassen und Gruppen empfangen, sondern auch Einzelpersonen und Paare.  Fünf Zimmer haben wir dazu geschmackvoll eingerichtet und einige Bäder gebaut.
  • Ulla, Isabelle und Stefan kümmern sich liebevoll um unsere Gäste. Tanja hatte als Praktikantin mit vielen Ideen und Einsatzbereitschaft den Neuaufbau unterstützt. Nun suchen wir eine neue Praktikantin bzw. Kollegin / einen neuen Praktikanten bzw. Kollegen für das Beizli, Küche, Käserei und Gästebetreuung.
  • Unter Uwes Anleitung konnte schon einiges renoviert werden. Für die grösseren Arbeiten kommen nun die ersten Genehmigungen herein. So können wir jetzt die Solaranlagen auf die Dächer setzen und nächste Woche mit dem Bau der Remise für die Landmaschinen, die Werkstatt und einen Schlechtwetterarbeitsplatz für Schulklassen beginnen. Ein Zimmermann könnte noch sehr gut in das Aufbauteam passen.
  • Die gute Stimmung in der Gemeinschaft scheint sich auch auf die Nachbarschaft und das Dorf Habkern auszuwirken. Bis jetzt sind wir sehr gut angenommen worden. Gemeinsames Singen und das Lesen von guten Texten gibt der Gemeinschaft einen zusätzlichen Boden.

Die breite wohlwollende Akzeptanz unserer Initiative haben wir auch den gemeinnützigen Zielen zu verdanken. Kinder und Jugendliche, aber auch interessierte Erwachsene, können hier wieder mit natürlichen und sozialen Gegebenheiten sowie neuen Lebensausrichtungen konfrontiert werden.

 Wirtschaftlich war der gute Start einerseits durch die großzügige Übergabe der Vorgängerfamilie Liebold und andererseits durch die neue Gemeinschaft selbst möglich, da wir viel Geld und unentgeltliche Arbeit in dieses Projekt gesteckt haben. Für die weiteren Renovierungs- und Bauarbeiten brauchen wir allerdings auch Hilfe von Aussen. Von den benötigten 800'000.- CHF haben wir dankenswerterweise gerade ein langfristiges zinsloses Darlehen von 150'000.- CHF von der "Stiftung zur Pflege von Mensch, Mitwelt und Erde" bekommen. Weitere Stiftungen und die Gemeinschaftsbank haben Hilfsbereitschaft signalisiert. Einen Teil von mindestens 200'000.- CHF möchten wir versuchen durch private Darlehen und steuerbegünstigte Schenkungen zu finanzieren. Hierdurch könnten sich Freunde konkret mit Hof Maiezyt und seinen zukunftsweisenden Zielen verbinden. Gerne geben wir mehr Infos  zu den baulichen und finanziellen Hintergründen.

Auch würden wir uns freuen, wenn Ihr uns helft Hof Maiezyt für Gäste, aber auch evtl. neue Gemeinschaftsmitglieder, bekannter zu machen. Viel kann um den Hof Maiezyt noch entwickelt werden.

Übrigens bis Ende Oktober /  Anfang November sind viele Hirsche in dem schroffen Berghang uns gegenüber noch am Röhren. Ein Ausflug, am besten mit Übernachtung, würde sich wirklich lohnen! Siehe auch unsere Seite  www.hofmaiezyt.ch  und im Anhang unseren Flyer.

Mit herzlichen Grüssen von Hof Maiezyt!

Uwe Burka, Hof-Maiezyt, CH 3804 Habkern, Tel. 0041 33 8431330,
Mobil: 0041 76 4417175, www.hofmaiezyt.ch, uwe.burkaweb.de

Hier geht es zum Bericht im Rundbrief 25, S.27f.

Bericht von einer Fachveranstaltung im Landwirtschaftsministerium in Prag

Werner Vollbracht

Am 22. März 2016 erhielten Kerstin Rose, AELF Passau-Rottalmünster, Marlene Luft, Thüringer Ökoherz e.V., Marcus Sambale, xit GmbH Nürnberg und Werner Vollbracht, AELF Weißenburg eine Einladung zu einem Diskussionsforum (Fachtag) Soziale Landwirtschaft nach Prag und Südböhmen. Der Kontakt kam durch Besuche von Prof. Jan Moudry sen. und D.I. Jiří Netík sen. als Teilnehmer an ASG-Seminaren und Netzwerktreffen in Bayern zustande. Aufgabe war es, die Soziale Landwirtschaft in Deutschland und speziell die Erfahrungen der Beratungen in Thüringen und Bayern im Landwirtschaftsministerium in Prag zu präsentieren. Kerstin Rose führte alle Präsentationen zusammen und übersetzte diese ins Englische. Bei der Tagung waren weitere Akteure der Sozialen Landwirtschaft aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Österreich, Italien und Deutschland zugegen. Nach einer Begrüßung durch den Tschechischen Landwirtschaftsminister Marian Jurecka führte Dr. Jan Moudry jun. von der Universität Budweis durch das Programm. Dabei stellten die Vertreter der jeweiligen Länder bzw. Bundesländer die Aktivitäten der Sozialen Landwirtschaft vor. Die Vorträge wurden durch Dolmetscherinnen in die jeweilige Landessprache übersetzt. Für mich beindruckend waren die Initiativen in Italien und Österreich, von wo wir noch viel lernen können. Aktuell hat der Tschechische Landwirtschaftsminister Marian Jurecka eine Kommission Soziale Landwirtschaft gegründet, um das Thema Soziale Landwirtschaft in Tschechien voranzubringen.

Am späten Nachmittag ging es dann mit mehreren Autos zu dem landwirtschaftlichen Betrieb von Jiří Netík sen., dem Präsidenten der tschechischen Landwirtschaftskammer. Der Hof liegt in Tyn nad Vltavou in Südböhmen in der Nähe von Budweis, wo wir den Abend bei einer Vorstellung des Betriebes und Gesprächen zur Sozialen Landwirtschaft verbracht haben. Der Hof verfügt über mehrere Standorte mit sozialen Einrichtungen und Werkstätten. Am Hof gibt es ein Gästehaus und ein Gastronomiebereich. Dort gab es Apfelringe statt Kartoffelchips zum Kauen.

Am nächsten Tag haben wir zuerst den Hof von Herrn Netík sen. besichtigt. Einer seiner Söhne hat uns geführt und uns alles auf Englisch erklärt. Der landwirtschaftliche Betrieb bewirtschaftet ca. 300 ha. Er besteht aus einer schwarzbunten Milchkuhherde mit ca. 50 Stück. Das Jungvieh ist ausgelagert. Gemolken wird mit einem Melkstand. An der Giebelwand zur Straße befindet sich ein Milchautomat zum Selberzapfen. Zusätzlich hat der Betrieb noch Pferde und Schafe. Die Schafwolle wird gereinigt, gegerbt und in einer Werkstatt von Frauen zu Decken und Kleidungsstücken verarbeitet. Am Hof gibt es noch eine Holzwerkstatt, wo z.B. Sitzbänke oder Holzstifte gefertigt werden. Die hergestellten Waren werden über einen Ausstellungsraum am Hof oder über einen Internetladen verkauft. Ca. 10 Minuten mit dem Auto entfernt befinden sich Apfelplantagen und eine Verarbeitungshalle. Hier werden die Äpfel sortiert, gekühlt, ausgepresst oder zu Apfelringen verarbeitet. Erstmals habe ich gefrorenen Apfelsaft gesehen, der an die Gastronomie verkauft wird. Das Besondere: Die Äpfel werden bis März gelagert, infolgedessen ist der daraus gepresste Saft besonders intensiv und leicht pastös.

Als nächstes wurde eine Gärtnerei im Ort besichtigt. Der Betrieb führt auch Grün- und Landschaftspflege durch. Die letzte Station am Vormittag führte uns in ein nahegelegenes Dorf. Dort hat der Betrieb eine leerstehende Schule erworben und verschiedene soziale Einrichtungen und Werkstätten eingebaut u.a. einen Kinderhort und behindertengerechte Wohnungen für Senioren.

Am Nachmittag besichtigten wir am Hof die o.g. Werkstätten, die Aufenthalts- und Ausruhräume sowie den Hofladen. Viele Teilnehmer kauften etwas von den angebotenen Erzeugnissen, um die Behindertenarbeit zu unterstützen. Insgesamt war es trotz Sprachbarrieren eine herzliche Atmosphäre, bleibende Eindrücke und der Wunsch, sich bald wiederzusehen.

Bildquelle: www.pomoc-tyn.cz/aktuality/

Kontakt/Verfasser: Werner Vollbracht, Berater für Unternehmensentwicklung, Berater für Soziale Landwirtschaft Mittel-, Ober- und Unterfranken, Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Weißenburg, Bergerstraße 2-4, 91781 Weißenburg, Tel: 09141-875-220, Fax: -209. Werner.Vollbrachtaelf-wb.bayern.de

Hier geht es zum Bericht im Rundbrief 24, S.27f.

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